Wie Flixbus die US-Ikone Greyhound schlucken konnte (2024)

Kein Busunternehmen ist so weltbekannt wie die amerikanische Traditionsfirma Greyhound. Doch nun übernimmt dort Flixbus das Steuer. Wie es zu dem Deal kam.

Die einst silbernen Greyhound-Busse mit dem Windhund-Logo wirken auf deutsche Augen als eine uramerikanische Ikone aus unzähligen Abschiedsszenen in Hollywood-Filmen. „Unsere Ambition ist, dass man irgendwann in den Hollywood-Filmen Flixbusse sieht“, sagte der Flixbus-Chef André Schwämmlein vor gut einer Woche der Frankfurter Allgemeinen, als sich ein Deal ankündigte, der jetzt perfekt ist: Das Münchner Start-up übernimmt das US-Traditionsunternehmen. Doch mit Hollywood-Glanz und Fernweh-Romantik hat das Geschäft nichts zu tun. Im Gegenteil: Greyhound leidet im wirklichen Leben in den USA unter einem ebenso schlechten Image wie miserablen Geschäft.

Der Fernbusanbieter war schon vor der Pandemie im Niedergang. Seit Jahrzehnten kämpft das Unternehmen gegen seinen miesen Ruf. Bei Amerikanern der Mittelklasse gilt Greyhound als Arme-Leute-Verkehrsmittel. Viele machen bewusst einen Bogen um heruntergekommene Busbahnhöfe, die in vielen Städten als zweifelhafte soziale Brennpunkte gelten. Mehrmals musste Greyhound Konkurs anmelden.

Greyhound: Ungepflegte Fahrzeuge, stinkende Bordtoiletten

Ungepflegte Fahrzeuge und stinkende Bordtoiletten brachten Greyhound den Spitznamen „Hellhound“ ein. Wer nicht das eigene Auto nimmt, fliegt in den USA lieber mit dem Flugzeug zwischen großen Städten. Vor knapp 15 Jahren kaufte der britische Transportkonzern Firstgroup den Sanierungsfall Greyhound und übernahm dessen damaligen Mutterkonzern Laidlaw für 3,6 Milliarden Dollar. Das Hauptinteresse der Briten galt aber dem profitablen Schulbusverkehr der Konzernmutter.

Greyhound, dessen 1250 Busse in den weiten ländlichen Teilen der USA die einzige Alternative zum Auto als Verkehrsmittel sind, traf die Pandemie besonders hart. Im Pandemiejahr 2020 fuhr Greyhound 15 Millionen Dollar Betriebsverlust ein, in diesem Jahr liefen weitere zwölf Millionen Miese auf. Der Umsatz brach um mehr als die Hälfte auf 422 Millionen Dollar ein, die Zahl der Passagiere sank um drei Viertel. Im Mai stellte der britische Mutterkonzern den Greyhound-Betrieb in Kanada nach über 90 Jahren komplett ein und entließ alle 400 Busfahrerinnen und -fahrer.

Auch die nach dem Muster von Flixbus für jüngere Reisende eingeführte Billigmarke Boltbus quittierte ihren Dienst. Mit 1250 Bussen fährt nur noch ein Bruchteil der Greyhound-Flotte des vergangenen Jahrhunderts über Amerikas Highways.

Wie Flixbus als digitale Plattform alle anderen ausstach

Nun soll die Rettung aus München kommen. Flixbus rollt seit sechs Jahren den öffentlichen Fernverkehr in Deutschland auf. Die drei Freunde André Schwämmlein, Jochen Engert und Daniel Krauss gründeten das Unternehmen vor neun Jahren, kurz bevor 2013 das seit der Vorkriegszeit geltende Bahn-Monopol fiel, das die Schiene vor einem Buslinienfernverkehr schützte. Mit Bussen hatten die drei Start-up-Gründer davor nichts zu tun, bis heute besitzt keiner von ihnen einen Bus-Führerschein. Die drei kamen aus der IT-Szene.

Wie Flixbus die US-Ikone Greyhound schlucken konnte (1)

Die jungen Gründer machten mit einem geschickten Online-Buchungssystem, digital analysierten Routen, attraktiven Service und vor allem mit einem extremen Billigpreiswettbewerb nach und nach ihre wichtigsten Konkurrenten platt und eroberten den neuen Markt. Auch der bisherige Greyhound-Besitzer Firstgroup, der 2013 auf die Marktführerschaft in Deutschland spechtete, hatte gegen die digital getriebenen Münchner keine Chance.

Nach einem für Wettbewerber wie ADAC, Post und Deutsche Bahn ruinösen Preiskampf und diversen Übernahmen kletterte der Flixbus-Marktanteil in Deutschland auf über 90 Prozent zu einem Fast-Monopol. Möglich wurde dies mit vielen Millionen fremden Startkapitals im Rücken.

Wie Flixbus die US-Ikone Greyhound schlucken konnte (2)

Das Besondere an Flixbus: Das Unternehmen besaß vor dem Greyhound-Deal keinen einzigen Reisebus. Es dient als digitale Mobilitätsplattform und ist Vertriebs- und Lizenzpartner für unzählige private Busunternehmen, die ihre Fahrzeuge im Flixbus-Design über das Land steuern. Nur einen einzigen alten Nahverkehrs-Bus hat der Konzern in einer Garage stehen, verriet Firmenchef Daniel Krauss in einem Interview mit unserer Redaktion: „Wenn du als Busunternehmen anerkannt sein willst, musst du in Deutschland einen Bus haben.“

Hinter Flixbus stehen globale Investoren

Hinter der Flixbus-Mutter Flixmobility stehen seit langem auch globale Finanzinvestoren wie Permira, General Atlantic oder Silver Lake. Im Juni sammelte Flixmobility weitere Investorengelder von 650 Millionen Dollar ein, unter anderem um den Einstieg ins Bahngeschäft mit Flixtrain zu finanzieren. Für den Greyhound-Deal zahlten die Münchner 172 Millionen Dollar.

Ob der Konzern nun die eigenen Busse und tausende Busfahrer behält oder in eine Gesellschaft ausgründet, war zunächst unklar. Zum Marktführer in den USA ist Flixbus durch den Deal mit einem Schlag aufgestiegen. Nun wollen die Münchner das US-Netz insbesondere mit deutlich attraktiveren Haltestellen, Fahrplänen und Service auf junge Zielgruppen ausrichten und optimieren. Die große Frage ist, ob Flixbus als nächstes Ziel die Börse ansteuert. „Ich würde nie Optionen ausschließen“, sagte Flixmobility-Chef Schwämmlein. Doch auf dem internen Fahrplan steht dies seinen Angaben nach nicht. „Wir bereiten nichts vor in diesem Sinne.“

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